Cottbusser marschieren in Kurdistan

Cottbus / Chóśebuz, 15. Mai 2017. Vom Palmsonntag, dem 9. April bis zum Ostermontag, dem 17. April 2017, führte das Menschenrechtszentrum Cottbus einen Friedens- und Versöhnungsmarsch im irakischen Kurdistan durch. Der Marsch begann in Ainkawa, dem christlichen Stadtteil der Hauptstadt Erbil und endete im Kloster Rabban Hormizd aus dem 7. Jahrhundert in den Bergen hinter der christlichen Stadt Alqosh. Ziel des Marsches war, den Dialog zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen im irakischen Kurdistan zu befördern. Der Krieg im Nahen Osten hat nicht nur Städte und vielerorts das Jahrtausende alte kulturelle Erbe der Menschheit vernichtet. Massive Menschenrechtsverletzungen, Minderheitenverfolgung und Genozid haben auch das Vertrauen zwischen den Menschen zerstört. Die ethnischen und religiösen Minderheiten des Irak, besonders die Christen und Jesiden, haben auf Grund der an ihnen begangenen Verbrechen durch den IS sowie der vielfachen schlechten Erfahrungen mit der muslimischen Mehrheitsgesellschaft das Vertrauen zu Muslimen verloren. Immer mehr Christen und Jesiden flüchten ins Ausland, weil sie endlich in Sicherheit, ohne Verlust und Schmerz, leben möchten. Es kann jedoch nicht das Ziel sein, dass der Irak und Kurdistan christen- und jesidenfrei werden. Die Menschen müssen wieder Vertrauen zueinander finden und den Weg des Zusammenlebens suchen, damit eines Tages wieder Frieden in der Region herrscht.

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Eine Botschaft an die Menschen im Nordirak

Die Gruppe der 30 Aktivisten bestand aus Deutschen, zwei Polen, einem Italiener, einer britischen Pfarrerin aus der Kathedrale von Coventry, wie auch Muslimen, Jesiden und Christen aus dem Irak und Kurdistan. Auf ihrem 112 Kilometer langen Weg von Ainkawa nach Alqosh trafen die Teilnehmer die örtliche Bevölkerung, sprachen mit den Leuten über das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Religionen, unternahmen Aktivitäten mit Schulkindern und zeigten mit ihrer Präsenz ihre Solidarität mit den Kurden und den Flüchtlingen. Unter den Gesprächspartnern waren Muslime, Christen und Jesiden, einfache Menschen in ihren Gärten, junge Leute in den Feldern, Frauen und Männer, Mullahs, muslimische und jesidische Scheichs, Lehrer, Politiker und viele Flüchtlinge.

Ein besonderes Erlebnis war der Gottesdienst mit dem chaldäischen Patriarchen Louis Raffael Sako am Gründonnerstag in der Kirche des Dorfes Mallabarwan. Dort leben friedlich miteinander gemischt Muslime und christliche Flüchtlinge aus Mossul von 2006 und 2007. Der Patriarch, der extra zur Gruppe in diesem symbolischen Dorf gestoßen war, wurde vom Vertreter der Vereinten Nationen in Bagdad, György Busztin, begleitet. Gemäß der chaldäischen Tradition wusch er die Füße von zwölf Gottesdienstbesuchern, unter ihnen ein Jeside und ein Muslim.

Obgleich die Gruppe während des neun Tage dauernden Marsches zu Fuß unterwegs war, fuhr sie absichtlich mit dem Auto zu den zerstörten und erst vor kurzem befreiten christlichen Orten Batnaya und Bashiqa. Dort hielten sie unter der Leitung von Dr. Sarah Hills von der Kathedrale von Coventry eigene Andachten. Besonders bewegend und symbolisch war die Tatsache, dass die sie begleitende Polizisten, selbst Muslime, ihnen halfen, die Kerzen in den dunklen Kirchen anzuzünden und an der Andacht teilnahmen.

An besonderen Orten pflanzten die Teilnehmer als Zeichen des Friedens Olivenbäume ein, wie beispielsweise in einem der ältesten Klöster der Welt, Mar Matti, nur 40 Kilometer von Mossul entfernt, an der Kirche von Batnaya, am Grab eines Derwisch Scheichs, vor der Moschee von Darebeni Herki, in Bashiqa am Monument des einzigen jesidischen Paschas von Mossul aus dem Jahr 1665, das vom IS zerstört worden war, aber auch in Shekhan, am Denkmal des Partisanenführers Mahmud Yazidi, den Saddam Hussein 1979 ermorden ließ.

Das Sinnbild des Marsches hatte der 15-jährige jesidische Junge Azad aus dem Schingalgebirge im Oktober 2015 gemalt. Er lebt als Flüchtling im Lager Dawodye. Azad und sein ihn begleitender Onkel hatten auf der Flucht aus dem Schingalgebirge viel Leid erlitten. Sie marschierten die ganzen neun Tage mit und trugen beide stolz die T-Shirts und das Banner mit dem Bild.

Die Tatsache, dass der Friedens- und Versöhnungsmarsch in einem Land stattfinden konnte, das sich im Kriegszustand befindet, wird vom Menschenrechtszentrum Cottbus als bemerkenswert und einzigartig eingeschätzt. Für die europäischen Mitglieder der Gruppe war darüber hinaus eine besondere Erkenntnis, dass das irakische Kurdistan ein sehr gastfreundliches Land ist, in dem ethnische und religiöse Gruppen auf einem guten Fundament für ein friedliches Zusammenleben aufbauen. Sie müssen lediglich diese Chance auf allen sozialen Ebenen nutzen – für sich selbst und als Beispiel für die gesamte muslimische Region im Nahen Osten. "Der Irak und Kurdistan sind wie ein Garten – sie sind schöner, wenn mehrere Blumen darin blühen", sagte Sylvia Wähling, geschäftsführende Vorsitzende des Menschenrechtszentrums Cottbus, zum Abschluss der Reise.

Unter den Teilnehmern:
Ein Teil der Gruppe verkörpert in der eigenen Biografie den Gedanken der Versöhnung: Fünf frühere politische Häftlinge des Zuchthauses Cottbus, die nicht mit Hass auf das erlittene Unrecht zurückblicken, unter ihnen der Vorsitzende des Vereins, Dieter Dombrowski (MdL), aber auch der Sprecher der Prager Botschaftsflüchtlinge vom Sommer 1989, Chris Bürger, beteiligen sich am Marsch. Zur Aufarbeitung des SED-Unrechts wollten zwei Mitglieder der Linkspartei aus Brandenburg beitragen, Andrea Johlige (MdL) und ein Stadtverordneter aus Templin, Andreas Büttner. Der ehemalige Stadtpräsident von Auschwitz (Oświęcim), Janusz Marszałek und Tomasz Kućka, ehemaliger Direktor der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz, stehen für die Versöhnung der Polen mit den Deutschen. Reverend Canon Dr. Sarah Hills, Leiterin der Versöhnungsarbeit an der Kathedrale von Coventry, der weltweiten Nagekreuzgemeinschaft und Symbol für Versöhnung, war ebenfalls dabei. Gerade die Bewegung aus Coventry, der am 14. November 1940 von der Deutschen Luftwaffe zerstörten Stadt, verkörpert trotz der Zerstörung und der Verzweiflung nach dem Krieg eine aus dem Glauben heraus entstandene Botschaft für Vergebung und Hoffnung in einer Welt des Hasses und der Rache. Dies war die Botschaft des Marsches an die Bevölkerung im Nordirak.

Für die Menschenrechte

Das Menschenrechtszentrum Cottbus hat seinen Sitz im früheren Zuchthaus Cottbus, in dem in der Zeit der SED-Staates fast ausschließlich politische Gefangene einsaßen. Diese kauften nach 1989 ihren eigenen Knast und richteten das Menschenrechtszentrum, das über eine bemerkenswerte Dauerausstellung verfügt und sich mit vielfältigen Aktionen und auch Sonderausstellungen für die Menschenrechte engagiert, ein.

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  • Quelle: red | Zeichnung: Azad, Quelle: Menschenrechtszentrum Cottbus
  • Erstellt am 15.05.2017 - 19:04Uhr | Zuletzt geändert am 15.05.2017 - 19:30Uhr
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